Gerhard Glau, Heimatforscher aus Glienick hat zum Hirtenwesen in der Nutheniederung geforscht, seine Ergebnisse in einer gleichnamigen Broschüre aufgeschrieben und an diesem Sonnabend über vierzig interessierten Zuhörern im „Alten Krug“ präsentiert. Seine Ausführungen stützt er vor allem auf die vom Volkskundler Willibald von Schulenburg zwischen 1893 und 1902 veröffentlichten Arbeiten (Willibald von Schulenburg auf Wikipedia). Seine Absicht: Das fast in Vergessenheit geratene Wissen über die Landwirtschaft und das dörfliche Leben in unserer märkischen Heimat bis zur Separation wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Obwohl an diesem Sonnabend bestimmt manche Besucher bei sonnigen Frühlingswetter gern auf eigener Scholle gehackt oder gesät hätten, folgten sie doch der Einladung des Heimatvereins in den „Alten Krug“, um mehr über die Landwirtschaft ihrer Vorfahren in den 600 Jahren preußischer Landwirtschaft vor der Separation zu erfahren.
Das Prinzip der Dreifelderwirtschaft |
Aus Flandern, aus Holland und vom Niederrhein haben sich unsere Vorfahren hier angesiedelt. Das Dorfleben war gemeinschaftlich organisiert. Um die Ansiedlung herum wurde Dreifelderwirtschaft betrieben, wobei jedes Jahr neu entschieden wurde, welcher Bauer welche Feldteile zu bestellen hat. In der ersten Zeit wurde tatsächlich ein Feld brachliegen gelassen, damit sich der Boden erholen konnte. Später erkannten die Bauern, dass bestimmte Pflanzen die Bodenqualität verbesserten und bauten diese währen der Brachzeit an. Weshalb sich der Ausgangszustand der drei Felder erst nach sieben und nicht bereits nach drei Jahren wiedereinstellte, erfahren Sie auf S. 3 der Broschüre. So ganz gemeinschaftlich war das Leben auf dem Dorf dann doch nicht. So erhielt der Dorfschulze einen größeren Anteil als alle anderen und die Kossäten, Dorfbewohner meist mit einem Garten, jedoch keinem Ackerland. Sie hatten lediglich Weiderechte.
Eine besondere Stellung nahmen die Hirten im Dorfleben ein. Die Hirten gehörten nur auf Zeit zur Dorfgemeinschaft. Sie bildeten einen eigenständigen Berufsstand und wurden mit der Betreuung des Viehs beauftragt. Da von den Erfolgen oder Misserfolgen in Viehwirtschaft maßgeblich das Wohl und Wehe der Dorfgemeinschaft abhing, wurden die Hirten mit großem Respekt behandelt. Sie sollen sich aber auch ihrer Sonderrolle sehr bewusst gewesen sein und traten sehr selbstbewusst, wenn nicht gar überheblich auf. Ein ganzes Hirtenteam wurde von den Bauern mitversorgt und mit Naturalien ausgezahlt. So unterstanden dem großen Viehhirten der Schweinehirt und der Kuhhirt, dem Pferdehirten der Gänsehirt. Wenn die Hirten mit ihrer Betreuung durch die Bauern nicht einverstanden waren, konnten sie weiterziehen, mussten dies aber zu Jahresbeginn mitteilen. Auch wenn die Dorfgemeinschaft mit den Hirten nicht zufrieden war, wurden sie entlassen. Die Hirten waren aber auch Wetterpropheten und Schlächter. Damit das Vieh auch tat, was die Hirten wollten, nutzten sie die Hirtenhörner. Wegen der Beziehung von Hirten zur biblischen Geschichte fanden im 17. Jahrhundert die Hörner auch Einklang in die Kirchenmusik. Getutet wurde auch zu Weihnachten, zu Neujahr und zu Hochzeiten. Alle Blasinstrumente der Neuzeit haben ihren Ursprung in den Hirtenhörnern. Zu den Viehweiden führten Triften, die links und rechts von Wällen und Zäunen eingefriedet waren, damit das Vieh nicht sein Futter bereits auf den Feldern holte.
Edikt von 1807 |
Gerhard Glau erklärte dann auch weshalb Horstweg nicht vom Vornamen Horst abgeleitet ist, sondern Horscht als eine Erhebung im Sumpfgebiet galt, die zur Weide geeignet war. Nach dem Zuhören konnten die Besucher auch etwas mit dem Begriff Upstall anfangen.
Mit der Separation endeten 600 Jahre gemeinschaftlich betriebene Landwirtschaft in Preußen, das dörfliche Gemeinschaftsleben. Im berühmten Oktoberedikt von 1807 werden die wesentlichen Elemente der bis dahin umfassendsten Agrarreform benannt. „Die völlig rechtliche und vor allen wirtschaftliche Freiheit des Individuums erfolgte mit dem Edikt vom 9 Oktober 1807 Die Manga Charta Preußens
- Aufhebung der Leibeigenschaft oder Erbuntertätigkeit
- den erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend-
- mit dem Martinstag 1810 hörte alle Gutsuntertätigkeit in allen preußischen Staaten auf Nach diesem Tag gab es nur noch freie Leute.“,
so auf der Anschauungstafel von Gerhard Glau.
Von diesem Tag an waren manche aber auch freier als andere. So eine Geschichte aus Glienick. Um die Landaufteilung möglichst gerecht zu gestalten, wurden sogenannte Teilungsoffizieren eingesetzt. Dennoch hatte ein Bauer bedeutend mehr Land erhalten als ihm zustand. Dies hatte einen einfachen Grund. Dieser Bauer hatte die Teilungsoffiziere beherbergt und gut bewirtet.
Wie sich das Dorfleben im Detail abgespielt hat, was wie auf den Tisch kam, was ein Öltuch mit Kartoffeln zu tun hat, wie eine Mahlzeit aus Blut und Wildbirnen bereitet wird, können Sie alles nachlesen:
Das Hirtenwesen in der Nutheniederung
Glau, Gerhard
88 Seiten
ISBN 978-3-88372-128-6
Verlag: Klaus-D. Becker